Schicksalsgemeinschaften am Berg – aber wer ist der Kümmerer?

Kennen Sie das Wort «Kümmerer»? Nicht unbedingt ein schönes Wort und zudem mit einer etwas unschönen Zweit-Bedeutung belastet, welche den Jägern unter Ihnen ein Begriff sein wird. In seiner Bedeutung allerdings, als «jemand, der sich um eine spezifische Aufgabe kümmert» ein sehr hilfreicher Begriff.

Wenn es in einer Destination, insbesondere in kleineren und mittelgrossen, nicht mehr vorwärts oder möglicherweise abwärts geht, sollte die erste Frage sein, wer kümmert sich? Wer kümmert sich um das Funktionieren des Gesamtsystems der lokalen Tourismuswirtschaft, wer versteht die Zusammenhänge, sucht intensiv nach konkreten Lösungen und ist nicht allein mit seinem Teilgetriebe beschäftigt? Wer kümmert sich um «das Ganze»?

Die Suche nach dem «Kümmerer» ist oft schwieriger als gedacht und es zeigt sich ein lokales (Macht-)Vakuum, welches die Entwicklung eines Ortes komplett lähmt. Warum? Warum «kümmern» sich die Stakeholder nicht? Und welche Rolle spielen die Bergbahnen?


Zum Beispiel die Gemeinde

Kleinere Destinationen liegen oft dezentral in einer Fraktion der Gemeinde, dünn besiedelt, wenig Wählerstimmen. Im Vergleich zum Hauptwirtschaftszweig der Gemeinde, vielleicht Textilindustrie, spielen die Steuereinnahmen aus dem Tourismus der Fraktion für die Gemeinde eine untergeordnete Rolle. Gemeinden wie diese sind keine echten Tourismusgemeinden mehr, welche mit unternehmerischem Risiko auf die Karte Tourismus setzen müssen. Die Bürgermeister sind gewiss guten Willens, haben Ideen und sehen die Bedeutung («aus historischer Sicht», «als Naherholungsgebiet»), aber sie sehen die Gemeinde selbst nicht in der letzten Verantwortung. «Die Tourismuswirtschaft muss halt …».


Zum Beispiel eine Destinationsmanagement-Organisation (DMO)

Kleinere Destinationen sind in der Regel Subdestinationen grösserer DMOs. Niemand will zurück in die Zeit der lokalen Tourismus- oder Verkehrsvereine, aber wenn die DMOs lokal nicht stark verankert sind, z.B. durch gut besetzte Ortskommissionen, werden sie zum regionalen Dienstleister ohne Rückhalt vor Ort. Moderne DMOs wollen eigentlich mehr sein als reine Marketingorganisationen: Angebotsentwickler, Stakeholder-Manager oder Standortentwickler. DMOs können aber an der schieren Grösse der Gesamtdestination an Grenzen stossen und bei schlicht fehlenden Mitteln lokal häufig wenig ausrichten.   


Zum Beispiel die Leistungsträger vor Ort

Kommt eine Destination in Schwierigkeiten, kommen die Leistungsträger (Beherberger, Gastronomie, Sportgeschäfte, …) in Schwierigkeiten. Die personellen und finanziellen Ressourcen sind beschränkt und die Hypotheken wiegen schwer. Bei grossen DMOs kann es zudem passieren, dass die Leistungsträger vor Ort in einer Konsumhaltung verharren, kombiniert mit einer Prise Resignation, sowieso nichts bewirken zu können. Im schlimmsten Fall entwickelt sich ein Preiskampf um die letzten Gäste. Was jetzt?


Zum Beispiel die «Investoren von ausserhalb»

Es gibt sie, die weissen Ritter, finanzstarke Unternehmer, touristische Unternehmer oder solche die es werden wollen. Doch sie brauchen Ansprech- und Kooperationspartner vor Ort. Ohne Sicherheiten, z.B. dass die Basisinfrastruktur (ein Lebensmittelgeschäft, ein Sportgeschäft) oder der Betrieb und die Weiterentwicklung der Bergbahn gewährleistet wird, sind die Risiken für viele Investoren zu gross. Es braucht einen Kümmerer, der das Feld vorbereitet. 


Was ist mit der Bergbahn-Unternehmung?

Sie gehört üblicherweise zu den grösseren Leistungsträgern und ist lokal verankert. Vorausgesetzt natürlich, die Unternehmung ist keine ferngelenkte «Business-Unit» eines Grossunternehmens, wodurch auch ein Machtvakuum entstehen kann. Doch auch dann – das Schicksal der Bergbahnen ist eng mit dem Schicksal des Ortes verbunden. Sie kann nur gedeihen, wenn auch der Ort gedeiht.

Ist kein Kümmerer erkennbar, eignet sich deshalb die Bergbahn-Unternehmung, sich der Aufgabe anzunehmen, einen solchen zu erschaffen.

Ein echter Kümmerer ist keine operative Einzelperson, sondern «ein strategisches Gremium, das sich einig ist». Im Gegensatz zum amerikanischen Resort-Ansatz, wo die unternehmerische Verantwortung eindeutig ist, müssen im Alpenraum die relevanten Entscheider an den Tisch geholt werden; Gemeinde, Leitbetrieb(e), evtl. zukünftige Investoren, Bergbahn(en), …

Die Arbeit beginnt immer mit einer Arbeitsgruppe, die einen umsetzbaren Plan mit einem unternehmerischen Ansatz ausarbeitet. Die Institutionalisierung der Arbeitsgruppe und der organisatorische Ansatz für die effektive Umsetzung folgt anschliessend, bzw. ist Teil des Plans.   

Wenn Destinationen sich weiterentwickeln oder gar neu erfinden wollen, müssen auch die bestehenden «Kümmerer-Modelle» überarbeitet werden. Die Bergbahn-Unternehmung kann diesen Ball aufnehmen und sich dabei hinterfragen, ob auch sie selbst mehr Gesamtverantwortung übernehmen kann und will.  

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